Artikel für die AKP (4/2018)
Da geht noch mehr“ – so war an dieser Stelle der Vorbericht zur Kommunalwahl am 6. Mai 2018 überschrieben. Und es ging mehr! Mit 16,5 Prozent stand am Ende des Tages das historisch beste Grüne Ergebnis bei einer schleswig-holsteinischen Kommunalwahl an den Anzeigetafeln der Rathäuser – und die Zahl der Bündnisgrünen in Kreistagen, Gemeindeund Stadträten stieg von 420 auf 600. Nach 10,3 Prozent im Jahr 2008 und 13,7 Prozent 2013 geht es also weiter aufwärts.
Während die CDU mit einem Verlust von 3,8 Prozentpunkten (jetzt 35,1 Prozent)
und die SPD von sogar 6,5 Prozentpunkten (23,3 Prozent) einiges aufarbeiten müssen, stehen wir Grüne eindeutig als Wahlgewinner fest. Leichte Gewinne konnten die kleinen Parteien FDP (6,7 Prozent) und Linke (3,9 Prozent) verzeichnen, die AfD kam erfreulicherweise nur auf 5,5 Prozent.
Niedrige Wahlbeteiligung,zu wenig Auswahl
Mal wieder das Problemkind: Die Wahlbeteiligung. Im Landesschnitt gingen
47,1 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen, in der nördlichsten Stadt
Flensburg sogar nur 35,5 Prozent. Dieses Thema wird uns also auch in den
nächsten Jahren weiter beschäftigen. In die Diskussion gehört dabei vielleicht
auch, dass Schleswig-Holstein eine sehr kleinteilige Gemeindestruktur hat. Im
nördlichsten Bundesland gibt es über 1.000 Gemeinden, deutlich mehr als zum
Beispiel im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Ob eine
kommunale Strukturreform hier Verbesserungen bringen würde, ist zumindest
mitzudenken. Ebenfalls kritisch zu sehen: In 324 Gemeinden ist nur eine einzige
Wählergemeinschaft angetreten!
Wende bei Direktmandaten
Bisher sind die Grünen MandatsträgerInnen in der Regel über die Liste in die
Lokalparlamente gekommen, auch vor fünf Jahren waren Grüne Direktmandate
noch die absolute Ausnahme. Nun gibt es viele unmittelbare VertreterInnen:
In Flensburg gewannen die Grünen mit sieben Direktmandaten sogar den kompletten Innenstadtbereich. In Kiel waren es fünf, in Lübeck drei direkt gewählte
Abgeordnete. Künftig wird bei den Aufstellungsversammlungen zur Kommunalwahl
also die Besetzung der Wahlkreise deutlich stärker im Fokus stehen.
Gewinne in den Uni-Städte – wie auch auf dem Land
Gewohnt stark waren wir in den kreisfreien Universitätsstädten Flensburg, Kiel und Lübeck. In Flensburg haben 18,8 Prozent der Menschen Grün gewählt, ein Zugewinn von 6,3 Prozentpunkten. Lediglich 145 Stimmen lagen wir am Ende hinter der CDU, sind zweitstärkste Fraktion und konnten sowohl die SPD als auch die Partei der dänischen Minderheit, den SSW, hinter uns lassen. Alle vier Parteien sind nun mit jeweils acht Mandaten in der Ratsversammlung vertreten. Auch weil das
Vorschlagsrecht für die/den StadtpräsidentIn, also der/die Vorsitzende der
Ratsversammlung, bei der Fraktion mit den meisten Mandaten liegt, ist mit einer
spannenden konstituierenden Sitzung zu rechnen.
Die guten Ergebnisse und Zugewinne beschränken sich aber bei weitem nicht nur auf die Städte. In allen Landkreisen haben wir dazugewonnen und sind in einigen Gemeinden sogar stärkste Fraktion geworden:
• Spitzenreiter ist mit 54,8 Prozent die Gemeinde Quarnbek im Kreis Rendsburg- Eckernförde – der Ort hat knapp 2.000 EinwohnerInnen –,
• dicht gefolgt vom 4.600 EinwohnerInnen zählenden Börnsen im Kreis Herzogtum
Lauenburg (51,1 Prozent).
• Im Kreis Pinneberg sind mit 28,3 Prozent die Grünen in Schenefeld stärkste Fraktion. Kreisweit konnte die Partei dort 18,3 Prozent für sich verbuchen.
• Im Kreis Plön stehen Grüne in Schwentinental (27,3 Prozent) ganz oben und in der Laboer Gemeindevertretung (28,3 Prozent) stellen die Partei mit Marc Wenzel auch den Bürgermeister des 5000 EinwohnerInnen zählenden Ostseebades an der Kieler Förde.
• In Felde im Kreis Plön erreichten die Grünen 24,9 Prozent.
Ein etwas anderes Bild zeigt sich dagegen an der Westküste. Im ländlich geprägten Kreis Dithmarschen, Hochburg der CDU, liegt das Grüne Ergebnis mit 9,1 Prozent deutlich unter dem Landesschnitt. Doch selbst hier konnte im Vergleich zu 2013 ein Prozentpunkt hinzugewonnen werden, während CDU und vor allem die SPD Verluste hinnehmen mussten.
Bündnisse und konstituierende Sitzungen
Welche Bündnisse sich aus den Ergebnissen vor Ort abzeichnen, ist sehr unterschiedlich. Während Kooperationsabsprachen beispielsweise in Flensburg
eher unüblich sind und auch diesmal ausbleiben, zeichnet sich in der Landeshauptstadt Kiel ein Ampel-Bündnis mit SPD und FDP ab. Obwohl es mit der
SPD zusammen zu einer knappen Mehrheit reichen würde, entschieden sich
die Grünen Mitglieder für ein breiteres Bündnis. Nachdem im letzten Jahr ein
Bündnis mit SPD und SSW gescheitert war, wird es spannend sein zu sehen, ob
die Zusammenarbeit mit den Genossen mit einem neuen kleinen Partner wieder
besser funktioniert. Im Kreis Nordfriesland wird hingegen aktuell über eine
Fortführung der Jamaika-Kooperation mit CDU und FDP verhandelt.
Wie auch immer die Gespräche in den Kreisen, Städten und Gemeinden laufen: viel Zeit bleibt nicht mehr. Noch vor der Sommerpause im Juli müssen sich alle
Vertretungen konstituiert haben. In den vergangenen Wochen seit der Wahl wurde
also mit Hochdruck über Personalentscheidungen in den Fraktionen diskutiert.
Dabei geht es nicht nur um die Besetzung der Ausschüsse. Nach dem überraschend
guten Ergebnis müssen vielerorts auch stellvertretende BürgermeisterInnen,
Ausschussvorsitzende oder (stellvertretenden) StadtpräsidentInnen benannt
werden – eine neue Situation, die natürlich ungemein motiviert.
Aufbruchstimmung
Vier Wochen nach der Wahl war diese Motivation geballt im Kieler Landeshaus
spürbar. Die Grüne Landtagsfraktion hatte zum Kommunalo-Treffen eingeladen
und der Plenarsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Umwelt, Mobilität und Bildung waren dabei die gefragtesten Themen, aber auch der Umgang mit
der AfD ist nun in vielen Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein von Bedeutung.
Angesichts der stark gewachsenen Zahl an MandatsträgerInnen von 420 auf gut
600 ging es viel auch um Austausch und Vernetzung. Genau hier setzt auch die
Arbeit der GAR an, unter anderem mit einer kommunalpolitischen Tagung sowie
einem breiten Seminarangebot. Bis dahin werden sicher auch alle Fragen zur
Gemeindeordnung, zur konstituierenden Sitzung und Ausschussbesetzungen geklärt sein. Und dann beginnt die eigentliche Arbeit: das überragende Wahlergebnis in viele Grüne Anträge und Initiativen umzuwandeln.
>>Matthias Ullrich (36) lebt bei Flensburg und ist
Referent für kommunalpolitische Koordination
der GAR Schleswig-Holstein.
Kurz erklärt:
Direktmandate im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht
Das schleswig-holsteinische Kommunalwahlrecht kennt Direktmandate: Wahlgebiete sind in Wahlkreise eingeteilt, in denen – je nach Größe – eine bestimmte Zahl unmittelbarer VertreterInnen zu wählen ist. In kleineren Gemeinden mit bis zu 2.500 EinwohnerInnen gibt es jeweils nur einen Mehrpersonenwahlkreis. Hier können also mehrere Stimmen abgegeben und mehrere Personen gewählt werden. In den größeren Gemeinden, Kreisen und Städten wird eine Person pro Wahlkreis gewählt. Gewählt ist dann, wer die meisten Stimmen erhalten hat.
Gleichzeitig werden für das gesamte Wahlgebiet die Stimmen für alle einer Liste angehörenden BewerberInnen zusammengezählt. Das entscheidet über die weiteren zu besetzenden Sitze einer Partei über den Listenwahlvorschlag.
Dieses personalisierte Verhältniswahlrecht unterteilt also die Sitze der jeweiligen Versammlungen in Sitze der „unmittelbaren Vertreter“ und „Listenvertreter“.